Der große Regen der vergangenen Tage hat hier in der Nähe des Charlottenburger Schlosses ein historisches Feuchtgebiet reaktiviert: Das „Nasse Dreieck“, ein Wurmfortsatz der Hebbelstraße, wurde kurzfristig zum See.
Im „Nassen Dreieck“ – Foto: linda link
Auch am Tag danach wird die neu entstandene Wasserfläche noch genutzt von der benachbarten Kindertagesstätte. Mit Gummistiefeln und wasserfestem Zubehör.
Das Nasse Dreieck steht in Verbindung mit dem Lietzensee und dem früheren See an der Villa Oppenheim und hat sich bisher allen Versuchen verweigert, sich von Straßen oder gar Häusern bebauen zu lassen. Berlin ist und bleibt eben Sumpfgebiet, verstärkt durch Klimawandelunwetter.
Städtische Umgebung ist dafür eher günstig, das scheint auch bei tierischen Mitbewohnern zu gelten. Ein Besuch im Charlottenburger Schlosspark offenbart unterschiedliche Aktivitäten in dieser Hinsicht. Aus subjektiv-menschlicher Sicht betrachtet. Ohne biologisch-wissenschaftlichen Hintergrund.
In den parkeigenen Bienenstöcken wird eifrigst alles gesammelt, was zur Honigproduktion und damit zum Weiterbestehen der Bienenpopulation gebraucht wird. Ist auch dringend nötig, denn selbst die städtischen Bienen – von Pestiziden verschont – sind seit der letzten Saison vom Aussterben bedroht. Hier scheint aber noch alles in Ordnung zu sein.
Das auffälligste Nest von allen hat eine Blässhuhn-Familie gebaut: Mitten auf dem Parksee hinter dem Schloss. Eher versteckt hat sich dagegen ein Graureiher, der stapfte im hinteren Parkbereich herum. Seine Wachsamkeit ließ mich vermuten, dass er auch irgendwo ein Nest verborgen hat
Aber was sind schon Insekten und Vögel gegen seltene Säugetiere. Eine Biberfamilie zum Beispiel, die sich hier im Park angesiedelt hat. Die Biber nagen Bäume ab, fällen auch mal kurzerhand einzelne Baumstämme und werden daher von den Schlossgärtnern genauestens beobachtet. Anzeichen von Biberaktivitäten sind solche Dammbauten, mit denen sie sogar Wasserläufe verändern können. Alles nur, damit die Familie ein geeignetes Umfeld haben kann. Fast schon wie Menschen.
Und? Sieht man auch etwas von Menschen? Äh, ja, aber nicht das, was man zuerst denken könnte. Hat eher etwas mit Beziehungskultur zu tun. Also, mit einer Variante, die auf mich immer eher abschreckend wirkt.
Das wird häufig behauptet, immer auch ein wenig zur Abschreckung von übereifrigen Investoren. Der Berliner Bauboden hat einen schlechten Ruf, eiszeitliche Kollateralschäden geben ihm den Rest. Eine Probebohrung auf dem Campus der TU aber klärt auf: der Berliner Untergrund ist definitiv sandig. Auf den ersten 120m fast nur quartäre und tertiäre Sande. Wer hier blockweise Hochhäuser plant, wie z.B. zwischen Bahnhof Zoo und TU-Gebäuden, muss also ein bißchen mehr rechnen. Und vor allem mit Mehrausgaben rechnen.
Das Bohrloch des Helmholtz Zentrums Potsdam befindet sich in der Fasanenstraße, kurz vor der Müller-Breslau-Straße, ist 560 Meter tief und wurde laut Projektflyer hauptsächlich zur Untersuchung von Energie- und Wärmespeicherung eingerichtet. Sinnvolles Wissen, bevor man mit den Anthropozän-Aktivitäten beginnt.
In Berlin bemerkt man selbstverständlich die geänderten weltpolitischen Stimmungen. Könnte sein, dass „die Amerikaner“ sich mit ihrem neuen Präsidenten noch weiter aus der Stadt zurückziehen werden als bisher. Grund genug, sich noch einmal die kulturellen Reste der amerikanischen Zeit anzuschauen.
Der berühmte Rosinenbomber
Irgendwo im tiefsten Zehlendorf, dort wo früher militärische Truppen stationiert waren, existiert heute ein Alliertenmuseum. Das auffälligste Ausstellungsstück ist natürlich der Rosinenbomber. Mit diesen Fluggeräten sind die Westberliner mit Lebensmitteln versorgt worden, als „die Russen“ einmal die Zufahrtswege zu diesem militärisch abenteuerlichen Konstrukt blockierten. Passend zum Thema ist zur Zeit eine Sonderausstellung „100 Objekte“ aus dem Kalten Krieg zu besichtigen. Neben dem Flugzeug ist die Checkpoint-Charlie-Kontrollbude zu sehen, im Originalzustand.
Eingang AlliiertenmuseumAmerika Haus mit C|O Berlin
Mitten in Charlottenburg ist ein weiterer Erinnerungsort zu besichtigen: das Amerika Haus – jetzt mit der internationalen Fotogalerie C|O Berlin.
Die Fassade enthält Gebrauchsspuren aus der Zeit der Studentenproteste 1968. Die Studentenbewegten von damals erleben nun einen späten Triumph: nach fast 50 Jahren wird „Ami go home“ Wirklichkeit. Naja, bis auf ein paar Touristen. Und Trump-Flüchtlinge. Und Softwarefirmen. Und die American Academy.
Und ich renne schon wieder der Zeit hinterher.
Bisher war es so üblich, dass Abbildungen aus Museen eher von Interesse für Fachleute waren. Oder es konnten sich noch Touristen dafür als Orientierungshilfe erwärmen. Nun muss ich zugeben, dass ein Foto von Kanzlerin Merkel im neueröffneten Potsdamer Barberini-Palast meine Aufmerksamkeit erlangt hat. Die Potsdamer Neuen Nachrichten veröffentlichten in ihrem Newsblog ein Foto der Kanzlerin, wie sie andächtig eines der ausgestellten Monet-Bilder studiert. Dem Betrachter des Fotos den Rücken zugekehrt. Ein eindeutigeres Statement zur Frage „Was macht sie an dem Tag der Trump-Inauguration?“ kann ich mir von ihr nicht vorstellen.
Ausflug ins Potsdamer Barberini-Museum | Foto: linda link
Grund genug für mich, einen Testbesuch vor Ort einzuplanen. Auch wenn das Palais wieder nur eine Kopie und ein moderner Nachbau eines zerstörten alten Gebäudes ist. Eintritt war heute frei, daher eine Geduldsprobe. Die Warteschlange reichte noch bis um das Parlamentsgebäude herum – also ungefähr einen Kilometer lang.
(Und falls das Bild aus dem Newsblog allmählich verschwindet, ist es noch in der Google-Bildersuche „merkel im barberini“ zu finden)
Wenn man nicht aufpasst, wird die eigene Geschichte einfach weggeblasen, Walter Benjamin wusste das. Daran musste ich denken, als ich gestern Abend nach Hause ging. Von einer Lesung mit Tanja Dückers in der Villa Oppenheim. Übrigens an einem trockengelegten Charlottenburger See gelegen.
Also muss man Begriffe aus der Kinderzeit retten, bevor sie hinter der gegenwärtigen Deutungshoheit verschwinden. Bestimmte Westberliner Eigenarten sind den neu Hinzugezogenen sonst kaum noch zu vermitteln. Dückers neuestes Buch „Mein altes West-Berlin: Berliner Orte“, mit Kindheitsgeschichten – aus den Jahren 1970-1980, leistet dafür dringend nötige Aufklärung.
Das Leben hier passierte in dieser Zeit in Abgrenzung nicht nur zur DDR und „den Russen“. Man musste sich auch noch ständig gegen westdeutsche Zumutungen zur Wehr setzen. Wenn Besucher aus dem Ruhrgebiet die Halbstadt erreichten, hatten sie schon „Helmstedt und Dreilinden“ und eine langweilige Transitstrecke überwunden. Sie sprachen dann gern von der „sterbenden Stadt“, die keine Zukunft hat. Ein Missverständnis. Bewohner der „besonderen politischen Einheit West-Berlin“ konnten dem nur mit fundamentalen geostrategischen Überlegungen begegnen, z.B. mit dem Ausdruck „Restdeutschland“. Mit Großstadtchauvinismus hatte das natürlich nicht das geringste zu tun. Eher schon mit einer gewissen heldenhaften Grundtrotzigkeit, David Bowie hat das verstanden.
Schon als Kinder mussten sich Westberliner mit solchen Wahrnehmungsdifferenzen herumplagen, egal ob es sich um Einschusslöcher oder die Gefährlichkeit des Bahnhofs Zoo handelte. Wen wundert es da, wenn die Nilpferde des Zoologischen Gartens die Lieblingstiere waren.
Achso. „Westberlin“ haben die „Ossis“ geschrieben. Korrekt müsste es „West-Berlin“ heißen. Ganz wichtig.
Tanja Dückers: „Mein altes West-Berlin: Berliner Orte“, erschienen im be.bra Verlag
Die erste Frage war für mich, wie ich zum Tieranatomischen Theater hinkomme. Navieinstellungen haben nichts genützt, zeitweises Umherirren auf dem Humboldt-Gelände war wohl nicht zu vermeiden. Zwischen vielen verstreuten Gründerzeit-Anlagen taucht plötzlich dieses schicke frisch renovierte Ausstellungsgebäude auf. Die Vorstellung, dass hier früher Tiere seziert wurden, schwingt bei jeder Veranstaltung mit.
Dass es ein wissenschaftlich begründetes Anthropozän gibt, ist noch neu. Von Menschen gemachte Spuren sollen in der Erdkruste nachweisbar sein. Aber kann das fotografisch dokumentiert werden? In Berlin ist EMOP (European Month of Photography) und eine Ausstellung im Tieranatomischen Theater zeigt Landschaften, die „unberührt“ sein sollten. Und es nicht sind.
Von Constanze Flamme werden Aufnahmen gezeigt, die sie nach der Katastrophe von Deepwater Horizon gemacht hat, John Volynchook fotografierte Landschaften in England, die von Fracking bedroht sind. Hans-Christian Schink zeigt, wie Verkehrsprojekte nach der deutschen Einheit unberührte Landschaften zerschnitten haben, Lois Hechenblaikner wie Skilifte die Alpenlandschaften durchpflügen. Weitere zu entdeckende Arbeiten von Fotografen in dem sehenswerten Gebäude:
Longing for Landscape – Landschaftsfotografie im Anthropozän im Tieranatomischen Theater, noch bis zum 1.12.16, 14 bis 18 Uhr, Eintritt frei